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Bertolt Brecht (Lars Eidinger) mit seiner Mitarbeiterin und engen Vertrauten Elisabeth Hauptmann (Peri Baumeister) Macheath (Tobias Moretti) und Polly Peachum (Hannah Herzsprung) kommen sich in den Straßen Londons näher Komponist Kurt Weill (Robert Stadlober) mit seiner Frau und Schauspielerin Lotte Lenja (Britta Hammelstein)
KINO-TIPP: MACKIE MESSER – BRECHTS DREIGROSCHENFILM – ein komplexes und amüsantes Kinoerlebnis!
Text: Andrea Beckert, Fotos: Wild Bunch Germany (2), Wild Bunch Germany / Stephan Pick (8)

Das am 31. August 1928 in Berlin im Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführte Stück „Die Dreigroschenoper“ ist Bertolt Brechts wohl bekanntestes Werk, welches Dank der Musik von Kurt Weill ein Welterfolg wurde. – Neunzig Jahre später ist „Die Dreigroschenoper“ aktueller denn je. Bertolt Brecht selbst konnte seinen Dreigroschenfilm nie selbst drehen, er musste vor den Nazis aus Deutschland fliehen.
Das Exposé des Dichters lieferte die Vorlage für „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ von Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang. Seine ambitionierte Film-im-Film-Inszenierung rund um Brechts Kampf, sein Werk nach seinen Vorstellungen zu verfilmen, wäre wohl auch in Brechts Interesse gewesen – mit Stars wie Lars Eidinger als Bertolt Brecht und Tobias Moretti als Mackie Messer. Prädikat: Besonders wertvoll!


Regisseur Joachim A. Lang verwebt gleich mehrere Erzählebenen. Dabei gibt eine Art „Making of“ dieses Films Einblicke hinter die Kulisse. Brecht selbst unterbricht immer wieder die Dreharbeiten, um über seine politischen Gedanken, seine visionären Vorhaben und Einwände zu sprechen. Im Film werden Szenen aus Brechts Leben, die Arbeitsprozesse zwischen Weill und Brecht sowie Brechts Kampf mit der Filmindustrie gezeigt. Für Abwechslung sorgen Originalzitate und hitzige Dialoge, beispielsweise verwandelt sich eine Szene aus der Dreigroschenoper in eine Diskussion der Schauspieler über ihre Rollen.

Das hohe Tempo der Inszenierung verlangt vom Betrachter volle Aufmerksamkeit, wenn Zeit und Drehorte wechseln – vom lebendigen Berlin der 1920er Jahre vor dem Hintergrund der Weltwirt- schaftskrise und des aufkommenden Faschismus oder die künstliche Theaterkulisse von London um 1900, wo Gängster und Bettler das Straßenbild prägen. Historische Eckdaten und Archivbildmaterial runden den abwechslungs- reichen Film perfekt ab.
Die Schauspielerin Carola Neher (Hannah Herzsprung) Inhalt:
Berlin, 31. August 1928. Im Theater am Schiffbauerdamm laufen die letzten hektischen Proben zu Bertolt Brechts (Lars Eidinger) und Kurt Weills (Robert Stadlober) „Die Dreigroschenoper“. Chaos im Vorfeld, Aus-
fälle von Hauptdarstellern und eine total verpatzte Generalprobe – alles deutet auf einen Flop hin. Brecht hat seinen Schauspielern Trillerpfeifen gegeben, um auf Buhrufe reagieren zu können. Doch das Premieren-
publikum ist überraschend von der in London um 1900 angesiedelten Geschichte über den Gangster Macheath (Tobias Moretti) begeistert – ein Welterfolg nimmt seinen Lauf.
Ein Dreigroschen-Fieber bricht aus, es gibt die weltberühmten Lieder auf Schallplatten, Tanztees, Bälle mit der Musik, Postkarten und sogar eine Dreigroschen-Tapete. Brecht und sein Team werden gefeiert. Auf die Frage, warum er keine Filme schreibe, antwortet Brecht messerscharf: „Die Filmindustrie ist zu doof und muss erst bankrott gehen.“
Es dauerte nicht lange bis auch die Filmindustrie Interesse am überragenden Welterfolg von „Die Drei-
groschenoper“ zeigt. Brecht, der das Drehbuch verfassen soll, und Weill schließen einen Vertrag mit dem Filmproduzenten Seymour Nebenzahl (Godehard Giese), dem es nur um den Erfolg an der Kasse geht.
Brecht hat nicht vor, das Stück eins zu eins für die Leinwand zu adaptieren. Seine Vorstellungen vom „Dreigroschenfilm“ sind radikal, kompromisslos, politisch und pointiert. Nächtelang diskutiert der Autor mit seinem engsten Kreis, dem neben Komponist Weill und seiner Mitarbeiterin und Geliebte Elisabeth Haupt-
mann (Peri Baumeister) auch seine Frau Helene Weigel (Meike Droste), Weills Ehefrau Lotte Lenja (Britta Hammelstein) und die gefeierte Schauspielerin Carola Neher (Hannah Herzsprung) angehören. Vor dem Hintergrund von Armut, Weltwirtschaftskrise und aufkeimen des aufkommenden Nationalsozialismus, will er mit dem Film eine politische Botschaft verbinden.
Bertolt Brecht sieht die Filmversion der Dreigroschenoper bereits vor sich, angesiedelt in einem London, im Verbrechermilieu von Soho und Whitechapel. Hier ist der Gangster und Zuhälter Macheath (Tobias Moretti) zuhause. Macheath sieht Polly Peachum (Hannah Herzsprung) auf der Straße und er beschließt, diese Frau zu heiraten, bevor er noch das erste Wort mit ihr gesprochen hat. Ihr Vater ist der Bettlerkönig Peachum (Joachim Król), der Menschen als Bettler ausstattet. Mit seiner alkoholkranken Frau Peachum (Claudia Michelsen) führt er eine lieblose Ehe. Nach nur vier Stunden feiern Macheath und Polly eine stürmische Hochzeitsfeier. Peachum ist darüber entsetzt.
Die Handlung spitzt sich zu, die Auseinandersetzung zwischen dem Gangster Macheath und dem Kopf der Bettelmafia Peachum eskaliert: Um Polly vor Macheath zu retten, schwärzt Peachum seinen ungeliebten Schwiegersohn bei der Polizei an und droht mit einem Zug seiner ärmsten Bettler anlässlich der Krönung der Königin. Trotz der engen Freundschaft aus gemeinsamen Armeezeiten zu Polizeichef Tiger Brown (Christian Redl) muss Macheath ins Gefängnis. Macheath überträgt Polly die Leitung seiner Geschäfte. Die Dreigroschenhandlung nimmt eine neue Richtung … und führt bis in die Gegenwart.
Währenddessen eskaliert der Konflikt zwischen dem revolutionären Künstler Brecht und dem kapitalorien-
tierten Filmproduzenten. Es kommt zum Streit um die Rechte. Brecht bringt die Produktionsfirma Nero-Film AG vor Gericht, um zu beweisen, dass die Geldinteressen der Filmindustrie sich gegen sein Recht als Autor durchsetzen. Er inszeniert damit einen Prozess in der Öffentlichkeit, den Bertolt Brecht selbst als „soziolo-
gisches Experiment“ bezeichnet.
Es kommt zum Showdown – in der Realität – in Brechts Film, der niemals so gemacht werden wird.

Hinter den Kamera:
Drehbuchautor und Regisseur Joachim A. Lang wechselt fließend zwischen Brechts realem Kampf gegen die Filmindustrie und seinen fiktiven Vorstellungen über die Verfilmung der „Dreigroschenoper“. Raffiniert arrangiert der Brecht-Experte die Handlungsebenen und hält durch geschickte dramaturgische Wendungen den Film bis zum großen Showdown am Ende spannend. Zwischendurch kommt Brecht im Film selbst zu Wort. Alles, was Brecht sagt, beruht auf Zitaten aus seinem gesamten Werk, Briefen und Leben.
Wesentlichen Anteil am Werk und Erfolg des Dreigroschenfilms haben auch noch weitere Personen hinter der Kamera. Die Kamera von David Slama navigiert mühelos durch die Kulissen. Für die opulente Bild-
gestaltung zeichnet David Slama verantwortlich, für den Ton Eric Rueff und für das Szenenbild Benedikt Herforth. Maskenbildnerin Jeanette Latzelsberger und Kostümbildnerin Lucia Faust sorgen für den pas-
senden Look der Schauspieler. Tänzer der Gauthier Dance Company tanzen nach aufwendigen Choreo-
grafien von Eric Gauthier. Dazwischen sind mitreißende Lieder in die Handlung eingebettet. Neben den Welthits von Kurt Weill aus der „Dreigroschenoper“ ist neu komponierte Filmmusik von Wiener Walter Mair zu hören. Unter der Leitung des Dirigenten HK Gruber wurden vom SWR Symphonieorchester, der SWR Big Band und dem SWR Vokalensemble die Musiknummern wunderbar eingespielt.

Vor der Kamera:
„Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ wird von einem hochkarätigen Ensemble getragen.
Lars Eidinger überzeugt mit seiner Darstellung von Bertolt Brecht als jungen, wilden, gesellschaftskri-
tischen, witzigen, schlagfertigen und selbstbewussten Dichter und Mittelpunkt eines jungen Künstler-
kollektivs. Tobias Moretti zelebriert förmlich Macheath als wortgewandten, witzigen, hintergründigen Edelganove „Mackie Messer“ im Frack und mit Zylinder, dessen Traum von Legalität und Ansehen sich schließlich als ehrbarer Bankier erfüllt. Hannah Herzsprung agiert hervorragend in ihrer Doppelrolle – in der Rahmenhandlung als Schauspielerin Carola Neher mit sehr schöner Gesangsstimme und in der Drei-
groschenhandlung als Polly Peachum, die Tochter des Bettlerkönigs. Vor allem als Polly stellt Hannah Herz-
sprung ihre Vielseitigkeit unter Beweis: Nachdem sich die schüchterne und unschuldige Polly Hals über Kopf in den berüchtigten Gangster „Mackie Messer“ verliebt hat, entwickelt sie sich vom jungen, naiven Mädchen zu einer selbstbewussten Geschäftsfrau, die zum Schluss die Bank übernimmt. Großartig ist Joachim Król als Bettlerkönig Peachum, der Lizenzen fürs Betteln vergibt und dafür seine „Kunden“ mit authentischen Beinprothesen, zerschlissene Kleidung und herzerweichend winselnde Hündchen aus-
stattet. Claudia Michelsen verkörpert die Rolle der unglücklichen Frau Peachum, die nicht einfach nur eine Alkoholikerin ist, sondern mehr eine verletzliche und enttäuschte Unternehmergattin. Als Kurt Weill überzeugt Robert Stadlober, für den es nach eigenen Angaben ein Privileg ist, den genialen Komponis-
ten spielen zu dürfen. Meike Droste steht als Brechts Ehefrau Helene Weigel ihrem berühmten Mann tatkräftig zur Seite. Ebenfalls wirkt Peri Baumeister als Brechts unverzichtbare Mitarbeiterin und Geliebte Elisabeth Hauptmann mit. In einer weiteren Doppelrolle ist Britta Hammelstein – in der Rahmenhandlung als Schauspielerin Lotte Lenja und in der Dreigroschenhandlung als Seeräuber-Jenny – zu bewundern. Mit seiner virtuosen Darstellung überzeugt Christian Redl als Tiger Brown, ein Polizeipräsident, der sich vom Bettlerkönig Peachum erpressen lässt. Er muss Prioritäten setzten und entscheidet sich schweren Herzens gegen die langjährige Freundschaft zu Macheath und für seine eigene Karriere. Vor der Kamera steht als Moritatensänger der begnadete Max Raabe, der mit der Musik von Kurt Weill bestens vertraut ist und 2000 mit einem Echo Klassik für seine Interpretation des Mackie Messer ausgezeichnet wurde.

Fazit:
„Und der Haifisch, der hat Zähne. Und die trägt er im Gesicht. ...“ Jeder kennt die Moritat von Mackie Messer, welches die berühmte „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill einläutet. Weniger bekannt dürfte das Exposé des provokanten Dichters sein, welches Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang aus Vorlage für „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ verwendet hat. Mit viel Liebe zum Detail verbindet das opulente Kostümspektakel mit grandioser Musik, die auf der originalen Weill-Musik basiert, literaturhistorische Details mit fiktiven Szenen – inkl. zahlreichen Zitaten von Brecht, wie zum Beispiel: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!“ Durch den rund zweistündigen Film zieht sich zeitgenössische wie auch zeitlose Gesellschaftskritik wie ein roter Faden. So erinnert beispielsweise der Marsch der Bettler im Film an die Massen von Flüchtlingen, die aus Not, Elend und Verfolgung ihre Länder verlassen haben.
Der Kinobesucher darf sich auf Unterhaltung auf höchstem Niveau mit einem großartigen Starensemble freuen. „Die Dreigroschenoper“ ist ein einzigartiges und aktuelles Meisterwerk. Und der Film von Joachim A. Lang dürfte ganz im Sinne von Brecht, dem Schöpfer des epischen Theaters, gelungen sein. Großartig!
Polly Peachum (Hannah Herzsprung) und Macheath (Tobias Moretti) feiern eine überstürzte Hochzeit
Frau Peachum (Claudia Michelsen) mit Bettler Sam (Hendrik Hauptmann)
Ungleiche Freunde: Macheath (Tobias Moretti), Kopf der Verbrecherbande Londons, zusammen mit Polizeichef Tiger Brown (Christian Redl)
Die Londoner Bettelmafia
Die Liebesleute fahren Boot: Polly Peachum (Hannah Herzsprung) und Macheath (Tobias Moretti)
Seeräuber-Jenny (Britta Hammelstein) mit den weiteren Freudenmädchen des Bordells
Original Titel: Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm // Genre: Drama // Herstellungsland / -jahr: Deutschland, Belgien / 2018 // Verleih: Constantin Film, Wild Bunch Germany GmbH // Vertrieb: Senator Film Austria, Central Film Verleih GmbH // Drehbuch & Regie: Joachim A. Lang // Produktion: Mira Film // Produzenten: Michael Souvignier, Zeitsprung Pictures Till Derenbach, Zeitsprung Pictures // Kamera: David Slama // Leitende Redaktion (SWR) & Dramaturgie: Sandra Maria Dujmovic // Redaktion (Arte): Andreas Schreitmüller // Maskenbild: Jeanette Latzel Sberger // Kostümbild: Lucia Faust // Szenenbild: Benedikt Herforth // Filmkomposition: Walter Mair, Kurt Schwertsik // Musikalische Leitung: HK Gruber // Filmmusik: SWR Symphonieorchester, SWR Big Band, SWR Vokalensemble // Choreograph: Eric Gauthier // Darsteller: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Claudia Michelsen, Britta Hammelstein, Robert Stadlober, Peri Baumeister, Christian Redl, Meike Droste, Max Raabe u.a. // Länge: .130 Min // Bildformat: 1 : 2,35 // Tonformat: Dolby Digital // Kinostart: 13.09.18 // Förderung: MFG Baden-Württemberg Deutscher Filmförderfonds Tax Shelter Belgien Screen Flanders // UNISEX-Bewertung: 4 von 5 Haifischzähne bzw. 4 von 5 Punkte // Links: www.constantinfilm.at/kino/mackie-messer-brechts-dreigroschenfilm.html
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